Das Theaterforum organisierte eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der Gruppierungen, die zur Kommunalwahl angetreten sind. Es wurde eine erfreulich offene Diskussion über den „Kulturstaat Bayern“, in der eine Fülle von Vorschlägen und Ideen zur Kultur in Gauting und seinen Bahnhof geäußert wurden. Sollten die Beteiligten im Gemeinderat landen, dann ist ihnen zu wünschen, dass sie sich ihre Offenheit erhalten.
Mit dabei war Dr. Carola Wenzel / SPD (mit Mikrofon). Sie meinte zum Bahnhof:
Wir brauchen einen Kulturbahnhof als Aushängeschild für den Ort und als Treffpunkt für die Bürger mit Versammlungs- und Darstellungsmöglichkeiten.
Wir müssen die Kultur- und Kreativwirtschaft stärken. Kultur ist ein Standortfaktor und diese Betriebe haben weniger Flächenverbrauch als ein Gewerbegebiet im Wald.
Kultur gilt leider immer noch als freiwillige Leistung und ist damit als erstes vom Rotstift bedroht. Wir brauchen einen festen Kulturetat, und es darf keine Kürzungen im Kulturbereich geben. Das ist das falsche Signal, wenn man die Kultur als Standortfaktor begreift.
Wir brauchen einen Neubau für Bibliothek/Archiv/Sammlung, damit Gauting seine Schätze angemessen präsentieren kann.
Carola Wenzel war optimistisch: „Ideen sammeln und dann klappt das schon.“ - Das ist eine auch in der Industrie schon tausendfach erprobte Methode, um zu kreativen Lösungen zu kommen. Und gerade bei Kultur geht es um Kreativität. Deshalb zunächst nicht übers Geld sprechen, auch wenn es um Kultur geht. Zuerst den Gedanken und Ideen freien Lauf lassen. Und wenn diese über Diskussionen zu einem Konzept verdichtet wurden, dann die Finanzen ansprechen, die sicherlich manche Kompromisse und Abstriche unausweichlich machen. Auch muss nicht alles auf einmal, sondern kann Schritt für Schritt angegangen werden. Wer aber erst übers Geld und dann über die Ideen sprechen will, der „tötet die Ideen“, so die allgemeine Erfahrung.
Jasmin Klingan / UBG war pessimistisch, als es um die Renovierung des Bahnhofes ging: „Wie das finanziert werden soll, sehe ich noch nicht. Wir haben definitiv andere Pflichten.“ – Sie hat noch nicht mitbekommen, dass die CSU-Bürgermeisterin Dr. Kössinger mitgeteilt hatte, dass von den Sanierungskosten des Bahnhofes die staatliche Städtebauförderung 90 % übernehmen würde (StaM v. 30.1.2020). Und da die Kosten auf 2 bis 2,5 Mio. Euro geschätzt werden, bliebe für Gauting gerade einmal 250.000 übrig. Oder wie Stefan Berchtold / MfG, der auch auf dem Podium saß, meinte: Man sollte mit dem Bahnhof „sofort in die Pötte kommen“.
Für Carola Wenzel geht es beim Bahnhof um einen Bürger- und Kulturbahnhof.
Gauting ist ein künstlerischer Ort, mit seiner Künstlerkolonie seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts (Paul Hey und Leo Putz) bis zu den Ateliers in der Reismühle, und seinen vielen kreativ arbeitenden Menschen. Es gibt über 30 Vereine, Gesellschaften und Gemeinschaften, die sich kulturell engagieren, allein 11 im Musikbereich.
Der Bahnhof ist das Aushängeschild und der mit 6.700 Fahrgästen täglich meist frequentierte Ort Gautings. – Nicht nur für die hier ein- und aussteigenden, auch die Reisenden, die weiterfahren, könnten neugierig auf Gauting werden, wenn der Bahnhof interessant genug gestaltet wird.
Ein gutes Beispiel ist die Veranstaltung, die die Kulturplattform organisiert, Einblicke in das kulturelle Leben zu geben, Appetit auf mehr zu machen.
Die Vereine sollten einen Raum für Veranstaltungen und Treffen bekommen. – Zur Zeit sind Treffen nur in Restaurants möglich, nicht jeder kann sich dies aber bei der geforderten Mindestverzehrsumme leisten.
Aktivitäten wie das Repair-Café könnten hier verankert werden.
Begegnungs-, Kommunikations- und Aufenthaltsort, ein Ort an dem man sich gerne aufhält, auch im Außenbereich, wie die bereits beim Bau des Kinos geplante Freiteppe mit Sitzstufen zum Bahnhofsvorplatz hin, die zum Verweilen einlädt.
Während das Bosco Raum für die „Hochkultur“ bietet, sollte im Kulturbahnhof ein niederschwelliges Angebot an die Bürger und Bürgerinnen gemacht werden.
Vielleicht findet sich ja auch ein interessanter Laden als Ergänzung zu den umliegenden Geschäften, der gerne in den Bahnhof möchte oder ein gastronomischer Betrieb – allerdings sollte auch darauf geachtet werden, dass den bereits bestehenden keine Konkurrenz erwächst.
Kultur- und Kreativwirtschaft
Kultur gehört zu den wenigen autonomen kommunalen Kernkompetenzen.
In den letzten zehn Jahren ist das Bewußtsein für die wirtschaftliche Bedeutung des Kultur- und Kreativitätssektors gewachsen. Auf Bundes- und Länderebene wurden Kompetenzzentren gegründet.
Der marktwirtschaftliche Bereich der Kultur (Architektur, Musik, Verlagswesen, Games- und Softwareindustrie, Werbemarkt und Filmwirtschaft) ist wachstumsstark und innovativ.
Nach neuen Zahlen sind allein in Bayern 200.000 Personen in der Kultur- und Kreativbranche beschäftigt. Der Anteil an der Gesamtwirtschaft ist vergleichbar mit dem des Maschinenbaus.
In den letzten Jahren wurden viele sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen. Mehr als 75 % der Unternehmen beziehen Kultur- und Kreativleistungen. D.h. die Förderung der Kultur- und Kreativschaffenden ist zugleich aktive Wirtschaftsförderung. Die Anwesenheit von Kultur- und Kreativbetrieben ist ein entscheidender Standortfaktor.
Was kann die Gemeinde tun: Gerade in der Metropolregion München wäre es möglich, eine größere Anzahl von Kultur- und Kreativschaffenden anzuziehen. Ermöglichung von kreativer Zwischennutzung für Mode, Design, Musik, Text, Kunst, Angebot von Raum für Ausstellungen, Vorträge, Lesungen, Partys.
Im Bereich der darstellenden und bildenden Kunst geht es den Kreativen in der Regel wirtschaftlich nicht so gut. Viele bringen sich ehrenamtlich in das kulturelle Leben ein. Sie sind für das Gemeinwesen unverzichtbar. Sie brauchen daher die Wertschätzung und Unterstützung der Kommune, keinesfalls aber Kürzungen der eh schon bescheidenen Zuschüsse.
Gauting könnte Mitglied werden in: Stadtkultur, Netzwerk bayerischer Städte. Regelmäßiger Erfahrungsaustausch, landesweite Kulturprojekte, Zugang zum Kulturfonds Bayern (Gräfelfing und Starnberg sind Mitglied).
Kulturelles Gedächtnis
Bronzezeitliche Grabhügel, eisenzeitliche Keltenschanze, römische Straßenstation … Gauting gehört zu den ältesten Siedlungsplätzen im Münchner Raum.
Um die Geschichte kümmert sich die Gesellschaft für Archäologie und Geschichte mit ihren Arbeitsgruppen Photodokumentation, Baudokumentation, Archäologie und Depot, das große Schätze enthält, Friedhofsthemen und Zeitgeschichte – aber auch Hermann Geiger mit seiner Sammlung historischer Objekte.
Auch die Gemeinde selbst besitzt ja teils hochkarätige Kunstwerke von Künstlern der Malerkolonie ("Bilder mit Gautinger Motiven, hervorragende Gautinger Künstlerinnen und Künstler" und Förderung "junger vielversprechende Künstler").
Die Bibliothek ist eine der meist besuchten Bildungseinrichtungen. Der Ort nicht nur fürs Lesen, sondern auch für Kommunikation und Lernen. Sie bietet Zugang zu Integration und Bildung.
Das Archiv ist die kulturelle Gedächtniseinrichtung. Sie ermöglicht die Identifikation der Bürger*innen mit ihrem Gemeinwesen. Seine Schätze können gehoben werden.
Wir haben also die Gesellschaft für Archäologie und Geschichte, die Sammlung von Hermann Geiger, die Bibliothek, das Archiv, die Kunstsammlung der Gemeinde – dazu den Kunstverein – alles wartet auf Raum, um sich entfalten zu können.
Wie gehen wir mit unseren alten Gebäuden um, die auch zum kulturellen Gedächtnis gehören, wie z.B. „Bergmoser Haus“, „Wunderlhof“ und „Krapfberg Villa“? Alles abreissen?