Der Gautinger SPD-Ortsverein ist dieses Jahr 125 Jahre alt geworden. Die Themen, mit denen sich die Parteifreunde in dieser langen Zeit auseinandersetzen mussten, haben gewechselt, schon zwangsläufig, denn schließlich hat sich die Gesellschaft selber immer weiterentwickelt.
Zur Zeit der Gründung ging es noch darum, die Reste des feudalen Staates mit seinem König und Kaiser loszuwerden, etwas, was leider erst nach dem ersten Weltkrieg mit seinen unvorstellbaren Opfern möglich wurde. Danach ging es um den Aufbau der ersten, der Weimarer Republik. Sie war durch die Sieger mit schweren Hypotheken belastet und brach in der Weltwirtschaftskrise zusammen. Die Nationalsozialisten nutzen die Gunst der Stunde und rissen die Macht an sich.
Jetzt ging es auch für viele Sozialdemokraten nur noch um das nackte Überleben. Und trotzdem, diese alte Fahne war das Symbol. Seine suggestive Kraft war so stark, dass einige Parteifreunde ihr Leben aufs Spiel setzten, nur um sie nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen. Sie wurde versteckt und gerettet.
Nach den unzähligen Opfern und unermesslichen Verwüstungen, die die Nazis hinterlassen hatten, stand der Aufbau der zweiten, der Bundesrepublik an. Diese Republik, auch wenn man etliches anders und damit auch besser hätte machen können, hat uns über 70 Jahre ein Leben in Frieden und Freiheit ermöglicht, was wir nicht hoch genug schätzt können.
Wenn wir uns nun aber die Gegenwart ansehen, dann werden alten Befürchtungen wieder wach. Mit der AfD haben wir es mit einer Partei zu tun, der es in wenigen Jahren gelungen ist, die deutsche Parteienlandschaft schwer zu erschüttern. Es gibt starke Strömungen in ihr, die gegen das „System“ kämpfen und vor rassistischen und nationalistischen Tiraden nicht zurückschrecken. Das ist etwas, was vor 80 Jahren schon einmal zu hören war. Wir gewinnen zunehmend den Eindruck, was wir uns nicht hatten vorstellen können: Unsere Demokratie ist gefährdet! Diese Einsicht verbreitet sich so langsam quer durch unsere Gesellschaft. Man hört es inzwischen von Bundespräsident Steinmeier bis hin zu CSU-Ministerpräsident Söder.
Mitunter heißt es, die AfD sei aus dem Nichts aufgetaucht, aber der Volksweisheit ist da weiter. Es weiß: Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte! Es hat sich schon lange einiges angekündigt. Man konnte eine sich immer weiter ausbreitende Entfremdung bei vielen Menschen vom politischen Geschehen beobachten:
Beobachtung: die Wahlbeteiligung
Seit 20 Jahren geht die Wahlbeteiligung stetig zurück. An den Landtagswahlen beteiligen sich nur noch 50-60% der Wähler. In unserer Jugend waren es noch 70-80%. Bei den Kommunalwahlen sind es mancherorts nur noch 30-40%, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Viele Wähler bleiben zuhause und verzichten damit auf die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf unsere Gesellschaft und ihre Gestaltung. Sie tun es nicht mehr, weil sie sich davon keine Verbesserungen ihrer Lebenslage mehr versprechen. Sie haben den Eindruck, dass die Politik nicht mehr die wirklichen Probleme unserer Gesellschaft löst, sondern sie nur noch verwaltet.
Beobachtung: die Arbeitsverhältnisse
Die Bundesanstalt für Arbeit meldete neulich: 2,3 Mio. sind immer noch arbeitslos und 3,2 Mio. unterbeschäftigt. Zusammen sind das 5,5 Mio. Menschen oder über 10% aller Arbeitswilligen, die keine gesicherte materielle Lebensgrundlage haben. Das kann nur zu einer tiefgehenden Enttäuschung und Verunsicherung führen!
Beobachtung: die Massenabwanderung in die Ballungsgebiete
Wir erleben eine sich beschleunigende Massenabwanderung in die Ballungsgebiete. Die Wanderungsbewegung vom Land in die Stadt gibt es schon seit 200 Jahren. Das ist nichts Neues. Was wir aber jetzt erleben, ist eine ungeheure Beschleunigung dieses Vorganges, der jeden vernünftigen Rahmen sprengt.
In die Großstadt zu ziehen, klingt erst einmal harmlos. Man packt die Koffer und Kisten, lässt sie zur neuen Wohnung bringen und los geht’s. Dem ist aber nicht so. Die, die losziehen, lassen ihre Verwandten, Bekannten und Freunde zurück. Sie lassen ihre vertraute Umgebung mit dem heimatlichen Dialekt hinter sich. Sie kommen in eine ganz neue Umgebung und müssen sich erst zurechtfinden. Und kommen sie ausgerechnet in den Münchner Raum, dann können wir ziemlich genau sagen, was sie erwartet:
Sie stoßen auf extreme Mietverhältnisse, die einen sehr großen Teil ihres Gehaltes aufzehren. Und sollten sie im Umland schließlich etwas Bezahlbares gefunden haben, dann stellen sie fest, dass sie morgens und abends im Stau stehen oder in überfüllten S- und U-Bahnen erst zur Arbeit fahren, um so auch wieder zurück nach Hause zu kommen.
Das macht keine Freude, auch nicht denen, die schon hier leben!
Die Bundesstiftung Baukultur hat diese Wanderungen untersucht. Ihre Befragungen ergeben: Die Jungen ziehen gerne in die Großstädte. Aber schon die mittleren Jahrgänge ziehen es mehrheitlich vor, in kleineren, überschaubareren Örtlichkeiten, seien es Städte oder auch Dörfer, zu leben. Und wenn sie nun trotzdem in die Ballungsgebiete ziehen, dann nicht freiwillig, sondern immer der Arbeit hinterher. Dieser Wegzug macht aber auch denen, die zurückbleiben, keine Freude. Sie müssen häufig ihre Kinder ziehen lassen, Freunde und Bekannte gleichermaßen. Die Zurückgebliebenen stehen vor leerstehenden Wohnungen; mitunter sind es ganze Straßenzüge, die kaum noch bewohnt sind. Aber dem nicht genug, die Zurückgebliebenen müssen zusehen, wie Geschäfte schließen, da sie zu wenige Kunden haben und auch öffentliche Einrichtungen, weil die Steuereinnahmen nicht mehr ausreichen, um sie zu unterhalten.
Ostdeutschland hat 2 Mio. seiner Bewohner verloren. Je weiter man nach Osten in Richtung Oder kommt und damit in die Gebiete, die am stärksten unter der Abwanderung leiden, umso höher ist der Stimmenanteil der AfD. Und das gilt von Vorpommern über Brandenburg bis nach Sachsen. In Sachsen ist die AfD inzwischen sogar zur stärksten Partei aufgestiegen!
Diese Entwicklung sieht man aber nicht nur in Ostdeutschland. Man sieht sie auch in Bayern. Die Stadt Hof hatte einmal 54.000 Einwohner, heute sind es nur noch 44.000. In drei Wochen werden wir sehen, wie sehr sich auch in Bayern die Verhältnisse durch die AfD zugespitzt haben.
Die tiefgehende Verunsicherung, die große Teile der Bevölkerung über ihre Zukunft erfasst hat, ist über Umfragen schon seit Jahren bekannt. Was kann man tun, was muss man tun?
Wenn CSU-Ministerpräsident Söder mit „Asyltourismus“ eines der Schlagworte der AfD übernimmt, dann trägt das bestimmt nicht zur Beruhigung bei und ist damit ganz und gar nicht hilfreich. Das Wort „Asyltourismus“ knüpft nur an den Ängsten und Befürchtungen der Menschen an, es knüpft nicht an ihren Hoffnungen und Sehnsüchten an.
Aus Wahluntersuchungen wissen wir, dass 1/3 der AfD-Wähler der harte Kern ist, der früher auch schon mal NPD oder die Republikaner gewählt hat, aber 2/3 von ihnen sind reine Protestwähler. Es ist ihr Protest gegen eine Politik, die nicht auf ihre Verunsicherung über ihre Lebensbedingungen eingeht. Wer die Anhänger der AfD wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückholen will, der darf nicht die Sprache der AfD annehmen. Das wäre Echo und Verstärkung zugleich und damit nur hilfreich für die AfD. Man muss die Lebensverhältnisse der Menschen wieder stabilisieren. Man muss ihnen wieder eine gesicherte Zukunft in ihrer heimatlichen Region vermitteln!
Deswegen ist es auch die völlig falsche Richtung, wenn Starnberg 63 Hektar Gewerbegebiet im Landschaftsschutzgebiet aus dem Boden stampfen will und auch Gauting im ersten Schritt 47 Hektar, ebenfalls in Wasser- und Landschaftsschutzgebieten. Es würde diese unselige Entwicklung nur noch verstärken. Tausende von Arbeitsplätze in unserer Gegend schaffen zu wollen, obwohl es hier keine Arbeitslosigkeit gibt, heißt nichts anderes, als dass diese Menschen letztlich aus den abgelegenen Landkreisen kommen müssen, denn schließlich fallen die Menschen nicht vom Himmel.
Auch wenn die GRÜNEN mit ihrem Volksentscheid gegen den Flächenfraß wegen einer formalen Gesetzesauslegung keinen Erfolg hatten, inhaltlich haben sie völlig recht! Die CSU-Landesregierung hat versucht, die Massenabwanderung in die Ballungsgebiete mit Appellen einzudämmen. Ohne sichtbaren Erfolg. Für den Münchener Raum werden wietere 300.000 Menschen erwartet. Mit Moral kommt man hier nicht mehr weiter. Es müssen eindeutige Gebote und Verbote erlassen werden. Den Ballungsgebieten und damit auch Starnberg und Gauting gehören ihre Vorhaben schlicht untersagt, denn was das für Wohnen und Mieten, Straßen und Verkehr bedeuten würde, kann sich jeder nur allzu gut vorstellen Umgekehrt, es geht um steuerliche Anreize und Förderung, damit sich die Betriebe in den abgelegenen Landkreisen niederlassen. Nicht wir hier brauchen die Arbeitsplätze, sondern z.B. die Stadt Hof!
Es steht mehr auf dem Spiel als zu niedriger Gewerbesteuereinnahmen. Wenn Kommunen zu wenig Geld haben, dann müssen Bund und Land ihnen einen höheren Steueranteil zukommen lassen, damit sie ihren Aufgaben nachkommen können. Man darf nicht zulassen, dass sie den Weg in die Zerstörung ihrer Umgebung antreten! Es ist zu bedenken, dass es immer eine doppelte Zerstörung ist: Bei uns, aber auch dort, wo die Menschen letztlich nur herkommen können, auf dass sich dort Verfall und Verödung weiter ausbreiten.
In drei Wochen haben wir es alle in der Hand. Wir können alle die politischen Kräfte stützen und stärken, die gegen die Massenabwanderung in unserem Land angehen wollen. Es geht um eine Trendwende zur Stärkung unserer Demokratie und deswegen um die Entlastung der Ballungsgebiete und die Stärkung der Landkreise! Das ist das Gebot der Stunde!
Eberhard Brucker