Eberhard Brucker begrüßte am 12. März die etwa 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Bosco und skizzierte mit wenigen Sätzen und einigen Bildern die aktuelle Situation in Gauting. Dabei ging es ihm vor allem um die vom Gemeinderat beschlossene Bauplanung auf dem Gelände dem alten Grundschulareal und um die Planung des neuen Gewerbegebiets. Der am 15. April bevorstehende Bürgerentscheid war ja auch der Anlass, Ursula Ammermann als Expertin für eine gewollte Bürgerbeteiligung für diesen Abend einzuladen. Denn dies ist klar: Gauting war unter Bürgermeisterin Brigitte Servatius bis zum Mai 2014 eine Gemeinde des bürgerschaftlichen Engagements und der Bürgerbeteiligung. Der „Leitbildprozess“ (2006 bis 2007) und die Aktion „Gauting entfalten“ (im Sommer 2013) stehen für diesen Politik-Ansatz.
Mit dem neuen Gemeinderat unter Bürgermeisterin Dr. Brigitte Kössinger brachen diese Mitwirkungsmöglichkeiten ab und machten einem Politikstil Platz, den ein Ratsmitglied der Mehrheitsfraktion der CSU so beschrieb: „Wir sind nicht dazu da zu diskutieren, sondern zu entscheiden.“
Bürgerbeteiligung wird seit dem Mai 2014 kleingeschrieben und auf das juristische Mindestmaß reduziert. Engagierte und kritische Bürger werden zudem eingeschüchtert; der kritischen Öffentlichkeit wird mit der Kürzung von Zuschussgeldern gedroht; ein Klima der Konfrontation und der Angst wird geschürt; irreführende Informationen werden verbreitet. Das ist gewissermaßen das Gegenteil dessen, was Gauting unter der vormaligen Bürgermeisterin erfahren hat. Dabei steht jetzt eine neue Ära der Ortsentwicklung bevor, die eigentlich eine breite Mitwirkung der Bürger erforderlich macht: Es geht um eine neue Stufe der Urbanisierung in Gauting: Verstädterung mit Münchner Vorortcharakter oder Erhalt und Weiterentwicklung der Garten- und Wohnortgemeinde.
Gerade jetzt wäre eine breite und offene Debatte über ein „neues Leitbild Gauting“ notwendig. Gerade jetzt wäre das Wissen, die Intelligenz, die Kreativität und Fantasie der gesamten Bürgerschaft gefordert, um bestmögliche Lösungen für die weitere Zukunft Gautings zu entwickeln.
Aber die Mehrheit des Gemeinderats blockiert entsprechende Initiativen – zu teuer, zu langwierig, zu wenig effektiv, weil zu viel Gerede, so hört man. Deshalb war es notwendig, jetzt ein Zeichen zu setzen und ein Bürgerbegehren einzuleiten und einen Bürgerentscheid gegen einen Baukoloss an der Bahnhofstraße auf dem ehemaligen Schulgelände zu erzwingen, der Gauting auf den Weg der Verstädterung und Versteinerung katapultieren wird.
Viele Gemeinden im Umfeld der Großstädte stehen vor diesen Herausforderungen und lösen die anstehenden Fragen und Entscheidungen durch breite bürgerschaftliche Beteiligungsprozesse. Die SPD Gauting wollte daran anschließen und hat deshalb Ursula Ammermann zu einem Vortrag über ihre Erfahrungen eingeladen.
Wer über bürgerschaftliches Engagement in der Stadt- und Ortsplanung spricht, der muss über das „Münchner Forum“ sprechen, das „Diskussionsforum für Entwicklungsfragen“ und den Namen Ursula Ammermann nennen. Denn das Münchner Forum ist das älteste, eindrucksvollste und erfolgreichste Bürgerbeteiligungs-Institut Deutschlands und Ursula Ammermann hat diese Institution dreißig Jahre lang geleitet. Gauting ist nicht München. Aber die Erfahrungen des Münchner Forums können mit etwas Fantasie auf die Ebene Gautings übertragen werden.
Seit 1968 begleitet das Münchner Forum alle großen Planungs- und Baumaßnahmen in München. Es setzt sich entsprechend seiner Satzungsziele immer für öffentliche und bürgerschaftliche Belange ein. Dabei gerät es oft in Opposition zur Stadtverwaltung und zu staatlichen Planungsinstitutionen. Aber es wird insbesondere im Münchner Stadtrat respektiert, weil seine Mitglieder ehrenamtlich tätig sind, qualifizierte Beiträge leisten und keine eigenen Grundstücks- und Bauinteressen verfolgen. In der Sprache des Planungsrechts heißt das: Das Münchner Forum reichert den Katalog der abwägungsrelevanten Tatbestände durch seine Anregungen und Bedenken an. Darüber hinaus greift es „ausgeblendete Themen“ auf und hebt sie in die öffentliche Debatte. Das Münchner Forum ist so etwas wie das Gewissen einer interessierten Stadtöffentlichkeit.
Seine Mitglieder werden als „Querdenker und Querköpfe“ bezeichnet – was diese als Auszeichnung verstehen. Während die Verwaltung im Aufgabenalltag, in Abhängigkeiten von Gesetzen und Verordnungen oft erstickt, finden sich im Münchner Forum weiterdenkende Fachleute, interessierte Laien und kundige Bürgerinnen und Bürger, die an Stadtvisionen arbeiten und eigene Entwicklungsziele diskutieren und formulieren. Dabei spielen parteipolitische Zugehörigkeiten keine Rolle. Das Forum leistet so nach wie vor einen wesentlichen Beitrag zur Planungskultur in München. Ohne das Forum würde München heute anders aussehen.
Im Zentrum dieser Aktivitäten stand bis Sommer 2017 Ursula Ammermann. Daneben leitete sie auch noch ihr eigenes Büro für bürgerschaftliches Engagement „Citycom“. Hier betreibt sie eigene Feldforschungen und sammelt außerhalb Münchens Praxiserfahrungen. Aus diesen beiden beruflichen Tätigkeitsfeldern hat sie uns Beispiele, Grundsätze und Erfahrungen im Umgang mit bürgerschaftlichen Beteiligungsverfahren vorgestellt. In der anschließenden lebhaften Diskussion hat sie den Zuhörerinnen und Zuhörern Mut gemacht, das bürgerschaftliche Engagement in Gauting zu stärken und die vorhandenen begrenzten Kräfte haushälterisch, strategisch und klug einzusetzen. Das war eine sehr gute und motivierende Veranstaltung.
Dr. Andreas Romero
Architekt und Stadtplaner, ehemaliger SPD-Gemeinderat
Wenn die Größe des Vorhabens die Nachbarn und Stadtviertelbewohner tangiert (Nachverdichten, Neubau …).
Wenn das Vorhaben generell von breitem öffentlichen Interesse ist. Wenn das lokale Vor-Ort-Wissen einfließen soll
Wenn, optimal BEVOR, das Vorhaben in der Öffentlichkeit kursiert (Medien, Bürgerversammlungen, Petitionen, Bürgerinitiativen ...).
Wenn es bereits Unterschriftenlisten u.a. gibt, bevor ein Bürgerbegehren der Politik die Entscheidung abnimmt.
Einbindung des lokalen Vor-Ort-Wissens-unverzichtbar!
Herstellung breiter Interessenbasis / Interessenausgleich der Zielgruppen Bevölkerung, Akteure, Verwaltung, Investoren, Politik, Architekten, ...
Kenntnis und Nivellierung von Partikularinteressen
Frühzeitiges Erkennen von Konflikten
Veränderungen, i.d.R. Verbesserung der Planung
Erhöhung der Akzeptanz bei Umsetzung
Gegenseitiges Verständnis von Zielkonflikten und Interessen
Stärkung des gegenseitigen Vertrauens der Öffentlichkeit, Politik, Akteure in Wettbewerbe und Planungsverfahren
Wissensunterschiede ausgleichen
Beteiligung dient der Klärung von Sachfragen, nicht von Machtfragen.
Bürgerbeteiligung als Prozess begreifen. Zeit, Zeit, Zeit ...
Rahmen Klären: Formales Verfahren (z.B. BauGB) oder freiwilliges Verfahren? Oder Kombi?
Ziele, Handlungsspielräume und Grad der Ergebnisoffenheit klären und kommunizieren
Politische und verwaltungsinterne Absicherung – Umgang mit den Ergebnissen Entscheidungswege kommunizieren
Alle Beteiligungsebenen bedenken.
Grenzen klarstellen
Beteiligungsgremien haben keine Entscheidungskompetenz, sie bleibt den politischen Gremien vorbehalten.
Beteiligungsergebnisse und -Gremien haben eine bedingte / zeitbegrenzte Legitimation.
Beteiligungsgrenzen wie Gesetze, Richtlinien etc.
Beteiligungsverfahren haben keine Konsenspflicht.
Bürger haben Pflichten wenn sie sich beteiligen.
Sich informieren.
Sich kontinuierlich einbringen, zum Ergebnis stehen bzw. es akzeptieren.
Beteiligung erfolgt mit Respekt, gegenseitiger Achtung und auf Augenhöhe.
Rechtzeitig anfangen – richtigen Zeitpunkt wählen.
Frühzeitige, verständliche, vollständige Information und Sprache
Umfassend vorbereiten (Zeit!!) und professionell durchführen
Transparenz in den Argumenten und Abläufen herstellen.
Klare Regeln im Umgang miteinander setzen.
Feedback geben, Zwischenstände, Veränderungen kommunizieren.
Umsetzung möglichst zeitnah und rechtzeitig kommunizieren.
Beteiligungsergebnisse haben ein Verfallsdatum.
Klarheit in den Rollen herstellen.